In den vergangenen Jahren kamen viele minderjährige Geflüchtete nach Deutschland. Oft ohne Papiere wie Pass, Geburtsurkunde oder Personalausweis. Behörden stehen dann vor der schwierigen Frage, ob es sich um Kinder, Jugendliche oder Erwachsene handelt. Bisher können sie sich lediglich auf die Angaben der Geflüchteten selbst verlassen, um deren Alter zu bestimmen. Oder sie sind gezwungen, auf umständliche oder invasive Methoden zurückzugreifen, die teilweise mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind.
Bisherige wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ein knorpeliger Zwischenraum in den Knochen des Knies – die sogenannte Wachstumsfuge – Aufschluss geben kann über das tatsächliche Alter einer Person. Denn im Laufe der Kindheit füllt sich dieser Zwischenraum mit Knochenmasse und ist mit etwa 20 Jahren vollkommen verknöchert. Um allerdings wissenschaftlich zu belegen, dass dies eine valide Methode ist, um das Alter von jungen Menschen zu bestimmen, müssen zuvor Unmengen an Daten zu Knochenstrukturen bestimmt und analysiert werden. Von Hand durchgeführt, wäre das eine sehr aufwändige Angelegenheit. Daher sind computergestützte Verfahren notwendig.
FH-Absolvent Paul-Louis Pröve entwickelte in seiner Bachelor-Arbeit eine Methode, mit der er das menschliche Knie automatisiert analysieren konnte. Pröves Arbeit war Teil einer Studie, die von Prof. Dennis Säring geleitet und in Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf durchgeführt wird. Gefördert wird sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, kurz DFG. Seine Bachelor-Arbeit war derart vielversprechend, dass sie vor kurzem im International Journal of Legal Medicine veröffentlicht wurde, einem renommierten Fachmagazin.
Pröves Ansatz stammt aus der Künstlichen Intelligenz. Um die Knochen im Knie automatisiert zu finden, arbeitete er mit einem neuronalen Faltungsnetz, einem beliebten Algorithmus für Deep Learning. Das Netz besteht aus vielen miteinander verknüpften Neuronen und kann automatisiert und schnell Muster in Bildern finden. Pröve zerlegte in einem ersten Schritt dreidimensionale Bilder von den Knien junger Männer aus dem Magnetresonanztomographen in zweidimensionale Bilder, damit sein Algorithmus die Knochen besser finden konnte.
Es zeigte sich, dass das Faltungsnetz die Knochen des menschlichen Knies wie Wadenbein, Schienbein und Oberschenkelknochen gut unterscheiden konnte. Außerdem konnte das eintrainierte Netz durch nur wenige Anpassungen auf eine weitere Aufgabe trainiert werden: die Altersbestimmung. Bei alldem war die Fehlerquote überraschend gering. Im Schnitt konnte das neuronale Netz das Alter der Probanden bis auf ein halbes Jahr genau voraussagen.
In einem weiteren Schritt sollen nun die Knochen noch weiter hinsichtlich des Alters analysiert werden. Das werden Prof. Säring sowie Promotionsstudent und FH-Mitarbeiter Markus Auf der Mauer im Rahmen des DFG-Projektes übernehmen. Außerdem wird Auf der Mauer im Rahmen seiner Dissertation Pröves Ergebnisse mit einer größeren Datenmenge wiederholen, um zu sehen, ob dessen Ergebnisse auch wirklich valide sind. „Pröve hat durch seine Mitarbeit bei der Studie wirklich gute Vorarbeit geleistet“, sagt Auf der Mauer. Prof. Säring fügt hinzu: „Paul hat wesentlich zum wissenschaftlichen Fortschritt in der Altersbestimmung beigetragen. Dass seine Arbeit durch unabhängige Experten positiv begutachtet und in einem internationalen Journal veröffentlicht wurde, belegt eindrucksvoll ihre Qualität und ihren Wert für die Wissenschaft."
Link zur Studie: link.springer.com/article/10.1007%2Fs00414-018-1953-y